x. Pharast
Mein Aufschrei war vor Wut verzerrt. Das Steuer war kaputt.
Sabotage! An meinem Schiff! Ach, nee, Moment… noch ist Russale ja Kapitän. Also
nicht, dass man mich falsch versteht: ich bin ihm gegenüber absolut loyal. Er
ist der beste Kapitän, unter dem ich bislang gesegelt bin. Zwar etwas
spaßbefreit, der Gute, aber das bekomme ich schon noch hin. OK, wo waren wir?
Sabotage! An Russaaaaaales Schiff! Aber immerhin an meinem Steuer! Das kann ein
Stingray, Schrecken der Shackles, Trauzeuge von Addron Russale, Begnadeter
Verarzter der Ladies im House of Kisses, Träger des mächtigsten Schwertes
Golarions, Offizieller Sprecher des Kapitäns und zukünftiger Piratenfürst, nicht
auf sich sitzen lassen. Na ja, dann werde ich unser Schiffchen mal reparieren,
dachte ich so bei mir. Nur blöd, dass wir zeitgleich auch von so einem
Pflanzenwesen angegriffen wurden. Ein „canopy creeper“, wie unser
Gelehrter Alderon das Viech im Nachhinein bezeichnet hat. Das hört sich in der
Gemeinsprache echt monströs an: cäänooopiii criiiipaaaa. Ins Elfische übersetzt
könnte man dieses Wesen aber auch „Kronenkriecher“ oder auch „Wipfelkriecher“
nennen und genauso lächerlich, wie das jetzt klingt, kam es mir ehrlich gesagt
auch vor. Dazu aber später mehr…
Irgendwie konnte der Creeper die
Lianen aus dem Dschungeldach über uns dazu benutzen, um damit gezielt
anzugreifen. Der Kampf begann, indem einige unserer Seemänner von den
Schlingpflanzen umwickelt und nach oben gerissen wurden. Während Kapitän
Russale, Addron und der Schamane, den wir beim letzten Landgang getroffen und
willkommengeheißen haben, sich dem Monster widmeten, bekam ich den Befehl, das
Steuer zu reparieren. Sobald dies erledigt war, sollte ich mich dann entweder am
Kampf beteiligen. Oder, wenn es keine Aussicht auf Erfolg gegen den canopy
creeper gab, uns mit dem dann wieder fahrtüchtigen Schiff aus dieser Bucht rausbringen.
Unser Kapitän scheint ein verkappter Taktikfuchs zu sein: Zwar nicht ganz so
schlau, aber dafür genauso stinkig! Ich muss sagen, diese Doppeloption finde
ich gar nicht schlecht. Sowas sollte ich mir für mein zukünftiges Kapitänsamt
unbedingt merken.
Im Wasser wimmelte es mittlerweile
von Sahuagins, die auf Haien reitend unser Schiff umkreisten. Da ich außen am
Schiff herunterklettern musste, um das Steuer zu reparieren, machte ich mich
unsichtbar. Nach dem Losklettern hörte ich immer wieder die Schreie meiner Mitstreiter,
die von den Lianen gepeitscht oder von Deck gerissen wurden oder wieder auf
selbigem aufschlugen, wenn sie sich aus den Lianen befreien konnten. Alles in
allem hörte es sich recht schmerzhaft an, was sie da oben trieben. Unten am Wasserspiegel
angekommen bemerkte ich, dass das Ruder nicht nur sabotiert, sondern zerstört
war. Zum Glück hingen die Teile noch an einigen letzten Splittern aneinander
oder trieben in Armreichweite durchs Wasser. Da noch alles da war, konnte ich
den Schaden mit Besmaras Segen in einer knappen halben Minute beheben. Stingray
sei Dank, dass er so ein Multitalent ist und es die Königin der See so gut mit
ihm meint! Nach getaner Arbeit konnte ich wieder schnell am Schiff hochklettern,
um auf Deck „klar Schiff“ zu machen. Wie erwartet hatten mich die Hai-Reiter
nicht bemerkt, aber leider ebenso wie erwartet war der Kampf auf Deck noch
nicht entschieden. Es sah sogar eher so aus, als könne der Kriecher die
Oberhand gewinnen, da wir keine ausreichenden Fernwaffen hatten. Die Feuer- und
Blitzzauber von Alderon und seinem Schamanenfreund richteten anscheinend keinen
Schaden an. Also hing mal wieder alles am lieben Stingray und seinen
hervorragenden Ideen.
Während ich meine wunderbare Säbelzahnklinge
zog, merkte ich wie immer, wie mir leicht schwindelig wurde. Unter uns
Kapitänstöchtern: diese Waffe berauscht mich einfach. Ich muss allerdings
zugeben, dass mich dieser Zustand immer etwas kurzatmig und schwächer macht.
Aber egal, ich führe die mächtigste Klinge Golarions, die sich mir zwar noch
immer nicht offenbart hat aber von der ich spüre, dass ihr eine unbegreifliche
Macht innewohnt. Irgendwann… ach egal, ich muss mich erst einmal auf den Kampf
gegen Schmidtchen Schleicher auf dem Baumwipfelpfad konzentrieren. Was machten
eigentlich gerade meine Mitstreiter? *flatsch* Ah, verstehe, alles Gute kommt
von oben… Ich hingegen hatte Größeres vor. Aber genau da lag der Seehund begraben:
Unser Feind schwang sich gut 80 Fuß über uns durchs Kronendach und der Herr
zukünftige Piratenfürst steht auf Deck mit einem geilen Schwert und zwei
Handarmbrüsten. Aber der Tag wird erst noch kommen, an dem einem Stingray die
Ideen ausgehen. Nun denn, dachte ich, die Klinge wird schon dafür sorgen, dass
ich da hoch komme und unserem Koch Ambrose die erste Ladung Creeperschnitzel
zuschneide. „Schwert! Wie Du auch immer heißen magst. Mach was. Bring mich da
hoch und ich werde das Viech da oben mit Dir töten.“
Freunde, was soll ich sagen?
Einen Augenblick später stand ich oben in der Baumkrone. Mein erster Gedanke
war: „Nanuchen? Was‘n hier losi?“ Einen weiteren Augenblick später merkte ich,
dass ich noch immer unsichtbar und der Creeper genau vor mir war, letztgenannter mich nicht beachtete während
er meinen Kameraden auf
dem Schiffsdeck weiter Backenfutter gab. Ich nahm meine
Klinge in beide Hände, stieß sie tief in den Kopfsalat vor mir und
spürte Macht. Ehrlich gesagt kann ich mich an die nächsten Momente nicht mehr richtig
erinnern. Im Nachhinein glaube ich, dass ich alles wie durch einen roten
Schleier wahrgenommen habe. Meine Klinge steckte bis zum Heft in einem toten
Etwas, das wohl mal ein canopy creeper
war. Ich habe keine Ahnung, was da genau passiert ist, aber ich hatte den
Eindruck, das Monster vor mir an einer kritischen Stelle getroffen und massiven
Schaden verursacht zu haben. Ein gut aufgelegter Stingray kann Kämpfe im
Alleingang entscheiden. Ich werde Carnage mal fragen, ob es für ihn genauso
schön war, wie für mich.
Nach einem artistisch hervorragenden Sprung landete ich im Krähennest
und kletterte den Mast nach unten bis zu den Brettern, die die Welt bedeuten. Während
sich der Rest der Offiziersrunde nach dem Kampf wieder zusammenflickte, nahm
ich mir nochmal das Gedicht vor, wegen dem wir hergefahren waren. „Aus der
blauen Bucht Umarmung…“ Während ich mich umsah, fielen mir die fast senkrecht
abfallenden Felsen auf, welche die Bucht bis auf den engen Durchbruch ins
offene Meer wie eine Umarmung umgaben. Der Eingang zur Bucht lag ziemlich genau
im Osten. Also konnte der „erste Kuss der Morgendämmerungsblume“ wohl nur „Sonnenaufgang“
bedeuten. Bei Morgendämmerungsblume kommt mir die Idee, meiner lieben Rosie im
nächsten Hafen mal einige Sonnenblumen zu kaufen. Sie liebt diese Blumen und
warum sollte ich Ihr nicht eine solche Freude machen? Zurück zum Gedicht. Es
passte bislang ja ganz gut zusammen, dass man sich im Moment des Sonnenaufgangs
im östlichen Durchbruch aufhalten, und sich irgendwas anschauen sollte. Und
hier hatten Alderon, Percey und die ganzen Schlaumeier mit ihrer bisherigen
Übersetzung in die Bilge gegriffen. „Schaue auf der der toten Lady's Grabes
Sieges-Zahn/Zinken/Zacken“ – was soll das denn heißen?! Übersetzt man es aber
mit „Erblicke der Grabesladys Prisenzahn“ oder statt „Prise“ eher „Beute“, also
„Beutezahn“, dann kommt man darauf, dass man an der gegenüberliegenden Felswand
wohl einen Vorsprung oder Felszacken entdecken soll, der irgendetwas mit einer
toten Frau zu tun haben könnte. Weiter kam ich vorerst allerdings auch nicht.
Allerdings hatten wir auf jeden Fall den Hinweis, dass wir am nächsten Morgen
den Felsen an der Westwand der Bucht genau beobachten sollten. Also warteten
wir… Einige leckten sich währenddessen die Wunden aus dem letzten Kampf. Ich hingegen
leckte… ah nein, wartet, Rosie will ja nicht, dass ich darüber detailliert berichte (sorry, Jungs).
Und bevor ich es vergesse: die Flying Spirit wird ab sofort auf Geheiß unseres in seiner Weisheit unerreichten Kapitäns durch eine zweite Flagge, nämlich die von Sebahel "Stingray" Sommar, geschmückt. Dies ist der Dank für mein mutiges Einschreiten gegen den canopy creeper, bei dem ich einen durchaus nicht zu vernachlässigenden Anteil an der Rettung von Schiff und Crew hatte. Meine Flagge befindet sich am Besanmast und hängt damit - verständlicher Weise - tiefer als die unseres hervorragenden Kapitäns. Lang Lebe die Zusammenarbeit zwischen Kapitän Russale und mir. Verruchte Besmara, lass uns bitte immer genug Munition an Bord, immer genug Wind in den Segeln und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben!
x+1. Pharast
Und bevor ich es vergesse: die Flying Spirit wird ab sofort auf Geheiß unseres in seiner Weisheit unerreichten Kapitäns durch eine zweite Flagge, nämlich die von Sebahel "Stingray" Sommar, geschmückt. Dies ist der Dank für mein mutiges Einschreiten gegen den canopy creeper, bei dem ich einen durchaus nicht zu vernachlässigenden Anteil an der Rettung von Schiff und Crew hatte. Meine Flagge befindet sich am Besanmast und hängt damit - verständlicher Weise - tiefer als die unseres hervorragenden Kapitäns. Lang Lebe die Zusammenarbeit zwischen Kapitän Russale und mir. Verruchte Besmara, lass uns bitte immer genug Munition an Bord, immer genug Wind in den Segeln und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben!
x+1. Pharast
Beim Sonnenaufgang des nächsten Tages sahen wir es: Ich
hatte das Schiff an den beschriebenen Platz manövriert und wir konnten es kaum
glauben. An der westlichen Felswand bildeten die Schattenwürfe der aufgehenden
Sonne eine Art Gesamtkunstwerk. Wo zur übrigen Tageszeit eine zerklüftete
Steilwand war, war im Moment des Sonnenaufgangs ein Totenschädel zu erkennen!
Über nahezu die ganze Felswand. Wir sahen der Grabeslady also direkt ins
Gesicht. Und wäre dies nicht schon genug, blitze einer ihrer Eckzähne für
einige Sekunden golden auf. Ha! Dieser Zahn hatte also etwas mit einer schönen
Prise zu tun? „Climb the captains's wayward orb“ Ich konnte mir zwar auch nicht
alles erklären, aber zumindest forderte uns das Gedicht auf, den „orb“ – also die
Kugel, also den Totenschädel – hinaufzuklettern. Nachdem wir bis zum „Zahn“ geklettert
waren, konnten wir erkennen, dass sich dahinter ein Höhleneingang verbarg. Um
den vermeintlichen Zahn befand sich eine zwar dreckige, aber dennoch golden schimmernde
Gesteinsschicht. Alderon meinte, dass es sich dabei um Pyrit, also Katzengold,
handelte. Mir egal. Hauptsache es glänzt, wenn ich auf Geheiß eines Gedichts,
bei Sonnenaufgang, mehrere Hundert Seemeilen von zu Hause, nach einem Kampf auf
Leben und Tod zufällig im richtigen Moment draufglotze. Der belesene Herr
Alderon sollte übrigens mal Klettern lernen, aber das nur so am Rande.
In der Höhle gab es zunächst wenig Überraschendes. Muffige,
feuchte Luft, außer Fackeln kein Licht und mehrere Gänge, die voneinander
abzweigten. Wir gingen durch den einen oder anderen Tunnel und versuchten, uns
auf die übrigen Gedichtzeilen einen Reim zu machen. Plötzlich entdeckte ich
eine Baumstammfalle und entschärfte diese dermaßen gelungen, dass die nie
wieder jemanden überrollen wird. Dahinter war nur ein totes Gangende, das sich
trotz eingehender Untersuchungen nicht als etwas Anderes entpuppte. Eine
Abzweigung hatten wir noch offen und verolgten diesen Tunnelpfad dann bis zu
einem weiteren Ende. Aus der Verzweiflung heraus, dass wir dem Gedicht so lange
folgen konnten, wollten wir nicht glauben, dass es hier nichts zu holen geben
sollte. Ich glaube, es war Besmaras Fingerzeig; auf jeden Fall fingen wir an zu
graben und stießen nach einiger Zeit auf Holz! Wie sich herausstellte
allerdings nicht auf eine verbuddelte Truhe, sondern auf eine Art Falltür. Kapitän
Russale konnte selbige „öffnen“. Aus dem Loch, durch das wir in die dunkle
Tiefe starrten, wehte uns noch muffigere Luft entgegen.
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